Kolloquium Transferwissenschaft
Podiumsdiskussion
Thesen zur Podiumsdiskussion
Gerd Antos
"Die Universität als Marktplatz des Wissens!"
I. Ausgangsprobleme
- Schätzungen gehen davon aus, dass demographisch bedingt in 10 Jahren deutsche
Universitäten nur noch von etwa der Hälfte aller heutigen Studierenden bevölkert
werden. Zusammen mit Tele-Teaching, "Medien in der Wissenschaft" (vgl. die
gegenwärtige Buhlmann-Initiative) und andere Formen des Wissenserwerbs provozieren die
Frage: Welchen Stellenwert hat die Universität noch in Zeiten sinkender
Studierendenzahlen und neuer Vermittlungsformen?
- Hinzu kommt: Heute wird vielfach ein Funktionsverlust der Universitäten beklagt. Dies
betrifft insbesondere die Kulturwissenschaften. Wenn die Gesellschaft noch Erwartungen an
die Universitäten als "Trendsetter" hätte, dann müsste sie Folgendes fragen:
"Welche fachspezifisch übergreifenden und zukunftsrelevanten Probleme kann die
Universität heute noch formulieren und welche Antworten kann sie in eigener Regie darauf
geben?"
II. Versuch einer Antwort
- Aufgabe der Universität ist es nicht mehr nur, Wissen zu produzieren, sondern für
Laien und Fachleute den Zugang und die Verteilung zu vorhandenem Wissen zu erforschen und
zu optimieren!
- Das zugrunde liegende Problem: Aufgrund der Spezialisierung wächst das Wissen
explosionsartig, aber die mögliche Teilnahme am Wissen schwindet für alle, die entweder
Laien oder Spezialisten auf anderen Gebieten sind. Wissen wird als Folge der notwendigen
Spezialisierung praktisch für alle anderen intransparent("Opazität des
Wissens").
- Ein Element der Lösung dieses Problems: Disziplinüberschreitende Entwicklung einer
"transdisziplinären" Transferwissenschaft! Ihre Aufgabe: die Erforschung und
der Ausbau der Infrastruktur der Wissensvernetzung im Zeitalter der Informationsflut und
der Wissensexplosion. Die dahinterstehende Frage: "Wie kann das produzierte
Spezialwissen für andere Disziplinen, für die angewandten Wissenschaften und für die
Gesellschaft zugänglich gemacht werden?" Das Bedürfnis nach Wissensmanagement
sollten die Kulturwissenschaften nutzen und die Suche nach Lösungen von
Retrieval-Problemen nicht nur den Technikern und ihren Suchmaschinen allein überlassen.
(siehe Beitrag Antos).
- Die durch die Opazität des Wissens erforderliche Schaffung einer (inter-)kulturellen
Infrastruktur des Wissens wäre eine konstruktive Antwort an die Gesellschaft, sowohl auf
Bedürfnisse der anderen Wissenschaften als auch auf zentrale Probleme der Wissens- und
Informationsgesellschaften einzugehen. Damit wird einer drohenden Gefahr vorgebeugt: Wo
die Infrastruktur der Vernetzung von Wissen nicht mehr mit der Produktion des Wissens
Schritt halten kann, beginnt die Strangulierung der Wissensproduktion. Expertokratie und
die produktionsbedingte Ausbreitung von Herrschaftswissen wären die Folgen.
- Die Etablierung einer Transferwissenschaft ist aber nur ein Element, um die
Universitäten als Forum des Wissenstransfers wieder aktuell zu machen. Was nötig ist,
ist eine Neubewertung und Neudefinition der traditionellen Lehre. Nur eine solche
"Reformation der Lehre" kann auf die Dauer auch die Erträge der Forschung
sichern - und zwar durch die Sicherstellung ihrer angemessenen Rezeption.
- Diese "Lehre" im Sinne eines optimierten Wissenstransfers hätte es mit dem
Transfer bzw. mit der "Transformation von Wissen" (sensu Dewe) auf drei
verschiedenen vertikalen Ebenen zu tun:
- Förderung der Kommunikation zwischen Fachexperten
- Förderung der Kommunikation zwischen Experten verschiedener Fächer
- Förderung der Kommunikation zwischen Experten und Laien
- Dies erfordert eine Bewußtseinsänderung an den Universitäten: Wissenschaftler
produzieren ihr Wissen weitgehend "angebotsorientiert". Erforderlich ist aber
auch ein nachfrageorientiertes Präsentieren von Wissen!
- Wissenstransfer muß dabei als "Diskurs" (Wichter) verstanden und in Diskurse
integriert werden. D.h. "Transfer" sollte einmal als ein wechselseitiger Prozeß
(vgl. die Probleme der "Technikfolgenabschätzung") verstanden werden und zum
anderen impliziert er eine Veränderung von Wissen, eine Veränderung der
Wissenspräsentation und eine Steuerung von Rezeptionsweisen.
- "Veränderung von Wissen" heißt: Wissen muss im Hinblick auf bestimmte Ziele
(und Adressaten) von den Fachleuten evaluiert und nicht nur produziert werden. Die
Evaluation von Wissen sowohl unter und zwischen Experten (verschiedener Faecher) als auch
durch Laien muss als demokratischer Wettstreit unter Beachtung der Wahrheitskriterien
gefuehrt werden.
- "Veränderung der Wissenspräsentation" heißt: Um den Zugang zu Wissen zu
erleichtern, müssen die Experten angehalten werden, ein Metawissen über Wissen, also ein
"Zugangs- bzw. Verfügungswissen", für sich und potentiell Interessierte zu
schaffen. Kriterien dafür könnten die 12 Prinzipien des linguistischen Wissenstransfers
sein (vgl. Beitrag Antos)
III. "Wissen für die Zukunft!"
Universität als Forum der Wissensvermittlung:
- Die Erste Welt schließt faktisch die Dritte Welt von der Produktion und Verteilung von
Wissen aus. Hinzu kommt: Die wissensnachfragenden Gesellschaften der Dritten Welt werden
immer jünger, die wissensbesitzenden modernen Wissensgesellschaften aber immer älter.
Die Frage, die sich sowohl interkulturell wie generationenübergreifend stellt: Welches
Wissen aus dem inzwischen unüberschaubaren Kosmos der hoch ausdifferenzierten
Wissenshaushalte soll und kann in Zukunft an Jüngere weitergegeben werden? Wer hat für
wen welches "Wissen für die Zukunft" anzubieten und es unter Beachtung von
infrastrukturellen Transaktionskosten zu vermitteln?
- Eine funktionierende Transferwissenschaft wäre nicht nur eine Alternative zu der Gefahr
eines Herrschaftswissen von Spezialisten. Sie würde zudem der Gefahr eines nicht
absehbaren globalen und kulturellen Traditions- und Diskursbruches vorbeugen. Wo Wissen
nicht mehr zugänglich gemacht wird bzw. werden kann, beginnt das unkontrollierte und
unkontrollierbare Vergessen.
- Die Universität muss sich von der Vorstellung lösen, dass sie ein Monopol auf
Wissensproduktion und Wissenstransfer hat. Vielmehr muss sie sich allen Wissensbesitzern
und -nachfragern als Forum anbieten. Dabei hat sie Hilfestellung bei der Klassifikation,
Vernetzung, Präsentation (z.B. medial) und der Bewertung von Wissen anzubieten. Ziel
wäre also:
Die Universität als Marktplatz des Wissens!
- ein Marktplatz, auf dem Wissen nicht nur angeboten, sondern bewertet, geprüft und auf
seine Anwendung hin verglichen, kurz: gehandelt wird.
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