Heike Tappe (Hamburg):
Raumbezug in natürlichsprachlichen Beschreibungen von Skizzenentstehungsereignissen

Mittwoch, 17.00 Uhr

Im Verlauf des Sprachproduktionsprozesses überführen Sprecher mehrdimensionale Sachverhaltsrepräsentationen in lineare sprachliche Strukturen. Diese Konzeptualisierungsleistung wird in einer spezifisch räumlichen Variante von Denis (1991:147) durch "How will people confronted with a two- or three-dimensional spatial entity 'linearize' information in order to produce descriptive discourse?" charakterisiert. Sie wird experimentell insbesondere an der Aufgabe der sprachlichen Beschreibung räumlicher Konstellationen untersucht.

Als grundlegendes Prinzip für die Linearisierung wird von Levelt das 'Prinzip der natürlichen Anordnung' formuliert: "Arrange information for expression according to the natural ordering of its content." (Levelt, 1989:380). Diesem folgend, wird die interne Struktur des zu verbalisierenden Sachverhalts bei der Verbalisierung möglichst weitgehend ausgenutzt. Ergänzend verweisen die Arbeiten von Carroll und von Stutterheim (z.B. 1993) darauf, daß Sprecher zusätzlich zwischen vier gleichermaßen möglichen Raumreferenzrahmen auswählen. Diese ermöglichen: 1) einen intrinsischen Bezug, d.h. die räumliche Struktur wird mit intrinsischen Eigenschaften der beteiligten Objekte ausgedrückt, 2) einen deiktischen Bezug, bei dem Objekte innerhalb der Struktur mittels Koordinaten lokalisiert werden, 3) einen Punkt-für-Punkt-Bezug, bei dem der Raum durch einzelne Objektlokationen und deren Relationen zueinander strukturiert wird und schließlich 4) einen linearen Bezug, bei dem die zu beschreibenden Objekte in eine lineare Abfolge gebracht werden.

Während bisher meistens Beschreibungen statischer Domänen untersucht wurden, präsentieren wir einer Versuchspersonengruppe die Entstehung von Wegeskizzen. Sie sehen auf einem zunächst leeren Bildschirm, wie sich eine Skizze sukzessive und kontinuierlich aus einzelnen, stetig aufeinanderfolgenden Pixeln aufbaut. Bei diesen 'Skizzenentstehungsereignissen' handelt es sich um dynamische raumzeitliche Entitäten. Die Sprecher kennen erstens die Gesamtkonfiguration nicht von Anfang an und zweitens müssen sie Segmentierungsund Gruppierungsleistungen vollbringen, während sie sprechen (vgl. Habel 1996, Habel & Tappe im Ersch.). Uns interessiert, ob sie sich bei der simultanen Beschreibung der Skizzenentstehung von dem 'Verbalisierungsdruck' teilweise entlasten, indem sie sich a priori für einen Referenzrahmen (z.B. ein Koordinatensystem) entscheiden und versuchen, diesen beizubehalten. Demzufolge wären sie - metaphorisch gesprochen - in der Lage, die Objekte in eine konzeptualisierte Raumstruktur 'einzuhängen'. Die gegenteilige Annahme ist, daß ein Referenzrahmen überhaupt erst durch die Objekte 'etabliert' wird. Dieser Annahme zufolge müßten wir eventuell für bestimmte zu beschreibende Sachverhalte einen typischen Referenzrahmen annehmen, der dann den Status einer natürlichen Anordnung hat. Aufgrund unserer bisherigen empirischen Ergebnisse scheint uns die zweite der genannten Alternativen plausibler. Die Sprecher fassen es offenbar als Teil ihrer Verbalisierungsaufgabe auf, die interne räumliche Struktur der Wegeskizzen zu entdecken. Solange dies nicht gelingt, ist in den Daten kein eindeutiger Trend für einen bestimmten Referenzrahmen feststellbar. In einer zweiten Versuchsbedingung, der off-line-Beschreibung derselben Skizzen, werden demgegenüber klare Entscheidungen für einen Referenzrahmen gefällt.

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