Gerda Haßler (Potsdam):
Wie weit hilft der Blick von außen?

Zum Status der Evidentialität bei der Beschreibung der Redewiedergabe in den romanischen Sprachen

Mittwoch, 17.30-18.30

Bei der Beschreibung der Redewiedergabe in den romanischen Sprachen ist in den letzten Jahren immer wieder auf Übergangsphänomene zwischen direkter und indirekter Rede hingewiesen worden. So wurde insbesondere für das Spanische dargestellt, wie in Äußerungen durch den Kontrast von Verbformen mit dem Merkmal 'Inaktualität' und deiktischen Ausdrücken auf frühere, ungenau erinnerte Äußerungen verwiesen werden kann (z.B. Juan llegaba mañana). In anderen romanischen Sprachen erscheinen solche Möglichkeiten zwar stärker kontextuell gebunden und textsortenabhängig, sie sind jedoch ebenfalls nachweisbar.

Wie seit langem an den Schwierigkeiten der Beschreibung der sogenannten erlebten Rede (discours indirect libre, citas encubiertas) im literarischen Text deutlich wurde, tritt nun auch bei der Betrachtung gesprochener Sprache ins Blickfeld, daß sich Erscheinungen der Redewiedergabe schwer auf syntaktische Über- und Unterordnung oder lexikalische Modalisierung reduzieren lassen. Die Absicht, solche Voreinstellungen zu vermeiden, legt den Versuch nahe, die Markierung der Herkunft des Sprecherwissens als ein pragmatisches Problem mit grammatischen Folgen zu betrachten. Obwohl diese in den romanischen Sprachen nicht bis zur Grammatikalisierung logophorischer Formen oder evidentials gehen, sind ihre Sprecher in bestimmten Situationen durchaus gehalten, die Herkunft der von ihnen mitgeteilten Informationen zu markieren. Dafür gibt es lexikalische, morphologische, syntaktische und auch typographische und intonatorische Mittel, die Unterschiede in der Evidentialität ausdrücken können. Auch bestimmte Satzadverbien oder auch unpersönliche Konstruktionen können diese Funktion übernehmen. Unter Evidentialität soll die sprachliche Markierung der Herkunft des Sprecherwissens, entweder aus anderer Quelle als unmittelbarer Anschauung, d.h. aus fremder Mitteilung oder Schlußfolgerung, oder die explizite Kennzeichnung der Herkunft aus eigener Wahrnehmung verstanden werden. Die Redewiedergabe stellt sich auf diesem Hintergrund als ein Bereich der Evidentialität dar, der in den romanischen Sprachen über konventionalisierte, aber auch über weitgehend unspezifische Ausdrucksmittel verfügt.

Ohne die (für die romanischen Sprachen bereits gut beschriebenen) Gesichtspunkte einer funktionalen Typologie der Redewiedergabe im Zusammenhang mit der direkten und der indirekten Rede völlig auszuklammern, sollen diese unspezifischen Ausdrucksmittel im Vordergrund stehen. Dabei wird davon ausgegangen, daß logophorische Situationen zu einer Refunktionalisierung grammatischer Formen beitragen können, die in ihrer ursprünglichen Funktion zurückgetreten sind. Nachweisbar ist dies in den romanischen Sprachen insbesondere am Beispiel von Verbformen mit dem Merkmal 'imperfektive Aspektualität' und 'Inaktualität' im Zusammenhang mit deiktischen Elementen. Da sich die Konzeptualisierung der 'logophorischen Situation' vor allem auf der Basis von kognitiven und funktionalen Forschungen zu Sprache mit spezifischer Grammatikalisierung vollzog, scheint sie für die romanischen Sprachen nicht auf der Hand zu liegen. Es läßt sich jedoch nachweisen, daß der 'Blick von außen' auch für die Beschreibung der Redewiedergabe in solchen Sprachen Nutzen verspricht, für die mit der Dichotomie vondirekter und indirekter Rede seit langem Lösungen vorzuliegen scheinen.

e-mail: hassler@rz.uni-potsdam.de

zum Programm der AG 11
zur alphabetischen Übersicht der Abstracts
zur zeitlichen Übersicht