Michael Jessen/ Krzysztof Marasek (Stuttgart):
Stimmqualitätskorrelate von Wortbetonung und Vokalgespanntheit im Deutschen

Mittwoch, 18.00 Uhr

Durch eine geeignete Auswahl von Stimuli wurde die Unterscheidung zwischen betonten und unbetonten Silben unabhängig von der Unterscheidung zwischen gespannten und ungespannten Vokalen im Deutschen variiert und in Hinblick auf verschiedene akustische und elektroglottographische Korrelate der Stimmqualität untersucht. Sowohl bezüglich der Wortbetonung als auch der Vokalgespanntheit konnten Erkenntnisse bestätigt werden, über die in der Literatur für Sprachen wie Englisch und Holländisch berichtet wurde. Unsere Erneuerung besteht in der Variation von sowohl Betonung als auch Gespanntheit innerhalb der gleichen Studie, in der zusätzlichen Verwendung der für die Untersuchung der Stimmqualität aussagekräftigen Methode der Elektroglottographie, sowie der Ausweitung der Wissensbasis auf eine weitere Sprache. Wir haben ermittelt, daß betonte Vokale mit mehr Energie in den mittleren und hohen Bereichen des Spektrums (vor allem im Bereich von F2) produziert werden als unbetonte Vokale und daß diese akustische Eigenschaft am stärksten mit der Steilheit der schließenden Phase des glottalen Zyklus korreliert (vgl. die Ergebnisse von Agatha Sluiter et al.). Weiterhin konnten wir zeigen, daß ungespannte Vokale gegenüber gespannten mit einer erhöhten spektralen Energie vor allem im Bereich von F3 realisiert wurden, was am stärksten mit der Dauer der schließenden Phase korrelierte (vgl. die Ergebnisse von John Kingston et al.).

Phonologische Implikationen dieser Ergebnisse ergeben sich unter anderem in einer Neubetrachtung des Regelsystems zur Wortbetonungszuweisung im Deutschen. Unsere Ergebnisse zeigen, daß ungespannte Vokale in Frequenzen, auf die die Sprachwahrnehmung besonders sensibel reagiert, energiereicher sind als gespannte Vokale. Dieses berechtigt zu der Annahme einer größeren phonologischen Prominenz der ungespannten Vokale. Diese Annahme kann zur Lösung des Problems beitragen, daß geschlossene Silben mit ungespanntem Vokal aber nicht offene Silben mit gespanntem Vokal eine betonungsanziehende Wirkung haben, was (zusammen mit dem Holländischen) die ansonsten universalen Prinzipien quantitätssensitiver Betonungssysteme verletzt. Wird das Deutsche hingegen als quantitätsinsensitiv analysiert (wie z.B. von Richard Wiese), so kann der verbleibende scheinbar quantitätssensitive Rest als Fall einer Prominenzsensitivität im Sinne von Bruce Hayes verstanden werden.

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