Constanze Vorwerg (Bielefeld):
Produktion und Verstehen von Richtungsausdrücken als Kategorisierungsprozeß

Donnerstag, 11.30 Uhr

Um über räumliche Gegebenheiten sprechen zu können, ist es erforderlich, unsere Repräsentationen von Objektrelationen und raumsprachliche Ausdrücke aufeinander abzubilden. Da hierbei einer begrenzten Zahl an sprachlichen Mitteln der Raumreferenz eine Vielzahl von räumlichen Konfigurationen gegenübersteht, können die Produktion und das Verstehen von Raumausdrücken als Kategorisierungsprozeß aufgefaßt werden, in dem eine räumliche Relation einer Kategorie (z.B. links von oder über) zugeordnet wird, welche mit einem entsprechenden Ausdruck der Sprache assoziiert ist.

Es ist davon auszugehen, daß diese Kategorisierung den gleichen Prinzipien folgt, die der Kategorisierung in anderen konzeptuell-semantischen Bereichen, wie Objekt- oder Farbkategorien, zugrunde liegen (vgl. auch Hayward & Tarr, 1995; Herskovits, 1986). Die durch Raumausdrücke, wie z.B. Richtungspräpositionen, bezeichneten Kategorien bilden kein erschöpfendes Klassifikationssystem aneinander grenzender Kategorien mit wohldefinierten Klassengrenzen. Vielmehr überlappen die Kategorien einander und haben unscharfe Grenzen sowie eine graduelle Struktur. Die Raumausdrücke repräsentieren idealisierte und abstrahierte Raumkonfigurationen, denen real vorgefundene Situationen mehr oder weniger gut entsprechen können (vgl. Talmy, 1983). Daher können Raumausdrücke daraufhin beurteilt werden, inwieweit sie zur Bezeichnung einer bestimmten Konfiguration geeignet sind. Gegebene Raumrelationen variieren hinsichtlich ihrer Typikalität für eine bestimmte Kategorie.

Für die Verwendung und das Verstehen von Richtungsausdrücken ist anzunehmen, daß die Nähe zu den jeweiligen Achsen des verwendeten Bezugssystems wie auch zu nächstgelegenen salienten Punkten des Referenzobjektes als Bezugspunkte dienen und daher als Faktoren bei der Kategorisierung wirksam sind.

Diese Hypothese wurde in einer Reihe von psycholinguistischen Experimenten geprüft, in denen Größe, Lage und Form des Referenzobjektes systematisch variiert wurden. Die Aufgabe der Versuchsperson bestand dabei entweder darin, für eine vorgegebene Minimalkonfiguration eine zutreffende Bezeichnung (Richtungsadverb) auszuwählen oder die Anwendbarkeit einer vorgegebenen Bezeichnung zu beurteilen oder ein Objekt nach einer eine Richtungspräposition enthaltenden Anweisung zu plazieren oder in einem Reaktionszeitexperiment eine Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer Richtungsrelation zu treffen, nachdem in einem früheren Experiment mit freier Sprachproduktion ermittelt worden war, welche sprachlichen Elemente (Richtungsausdrücke und "Hedges") bei der Beschreibung derartiger Minimalkonfigurationen verwendet werden.

Literatur:

 zum Programm der AG 12
zur alphabetischen Übersicht der Abstracts
zur zeitlichen Übersicht