Kerstin Vollmer (Bielefeld):
Koartikulation und glottale Transparenz

Freitag, 14.00 Uhr

Es wird über eine Experimentalstudie zum Thema "Koartikulation bei gesunden Sprechern und bei sprach- und sprechgestörten Patienten" berichtet. Der koartikulatorische Prozeß stellt ein elementares Prinzip der Sprache dar. Aufgrund dieses Prozesses liegen auf der artikulatorischen Ebene kaum voneinander differente Segmentgrößen vor. Die Segmente sind miteinander verzahnt, und es werden Simultanbildungen beobachtet. Im Rahmen der Experimentalstudie wird der Prozeß der Koartikulation anhand akustischer Meßverfahren analysiert. An der Untersuchung nahmen Normsprecher, Dysarthriker, Aphasiker und Sprechapraktiker teil. Für das Experiment wurden Wörter konstruiert, die entweder ein /h/ in "gehVbe " oder einen Glottalverschlußlaut (/?/) in "ge?Vbe" enthielten.

In einem ersten Analyseschritt wurde in Anlehnung an Stevens (1989) das Sprachsignal in Phone und Transitionen eingeteilt. Anhand dieser Unterteilungen sollte festgestellt werden, ob hinsichtlich der beiden Phasen Gruppenunterschiede bestehen. Aufgrund der unterschiedlichen Defizite der einzelnen Syndromgruppen werden auffallende Differenzen erwartet. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, ob die beiden Artikulationsphasen im Faktor der Variabilität differieren. Es wird vermutet, daß Transitionen kaum variieren, da sie nur distinktive Merkmale enthalten. Die Phone sollten dagegen variabler sein, da hier zu den distinktiven noch redundante Merkmale als Prinzip der Verstärkung hinzukommen. In einem dritten Analyseschritt wurde untersucht, ob sich auch Gruppenunterschiede im Grad der Beeinflussung des zweiten Vokals in VCV- Sequenzen auf den ersten Vokal zeigen. Es wird erwartet, daß bei Sprechapraktikern der erste Vokal nur in geringem Maße vom Folgevokal beeinflußt wird, da der Prozeß der Koartikulation insgesamt reduziert ist. In der vierten Analyse wird die Fragestellung untersucht, ob die glottalen Laute /h/ und /?/ für die Formantenbewegungen angrenzender Vokale transparent sind. Keating wies bereits 1988 mittels akustischer Messungen die Transparenz für das /h/ nach. Für den /?/ liegen keine entsprechenden Studien vor. Der Koartikulationstheorie zufolge sollte sowohl das /h/ als auch der /?/ auf der phonetischen Ebene für die oralen Merkmalswerte unterspezifiziert sein und sich hinsichtlich der Formantenbewegungen angrenzender Vokale transparent verhalten. Auch bei dieser Analyse werden neben den Normsprechern die drei sprachpathologischen Syndromgruppen genauer betrachtet.

Im Vortrag werden die experimentellen Resultate vorgestellt und die Schlußfolgerungen diskutiert.

Literatur:

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