Natascha Müller/ Beate Riemer (Hamburg):
Nullsubjekte im frühen bilingualen Spracherwerb: Deutsch/Italienisch

Donnerstag, 9.00 Uhr

Der simultane Erwerb zweier Erstsprachen (‘Muttersprachen') im frühen Kindesalter (vor ca. drei Jahren) hat immer wieder Anlaß zu der Vermutung gegeben, daß keine der beiden Sprachen vollständig erworben wird oder daß das bilinguale Kind eine anfängliche Phase der Fusion durchläuft. Neuere Forschungsarbeiten zeigen jedoch, daß bilingual aufwachsende Kinder offenbar schon sehr früh in der Lage sind, zwei separate grammatische Kompetenzen aufzubauen und bei ihrer Sprachentwicklung nicht notwendigerweise eine Phase der Fusion durchlaufen; zu diesem Ergebnis kommen u.a. Genesee (1987), de Houwer (1990), Köppe (1997), Meisel (1986), Müller (1993).

Als Arbeitshypothese soll die frühe Trennung zweier Sprachsysteme zugrunde gelegt werden. Dies schließt jedoch nicht aus, daß es zu sogenannten Interferenzen kommt. Bisher hat das Konzept der grammatischen Interferenz keinen prädiktiven Charakter, d.h. weder die Domäne, in der Interferenz auftritt, noch die von Interferenz betroffenen sprachlichen Phänomene wurden derart präzisiert, daß hier Vorhersagen getroffen werden können. Faktoren wie die Ambiguität des Inputs, aber auch nicht-isomorphe Relationen zwischen zwei Komponenten der Grammatik, z.B. zwischen syntaktischen und morphologischen Strukturen, begünstigen das Auftreten der Interferenz (vgl. Müller, to appear, Müller and Crysmann, 1997).

Als Phänomenbereich haben wir die lexikalische Realisierung der Subjektposition ausgewählt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich das Deutsche und das Italienische grundlegend voneinander: Das Italienische gilt als sogenannte Null-Subjekt-Sprache bzw. pro-drop Sprache, in der das Auslassen von Subjekten in allen syntaktischen Konstruktionen möglich ist. Diese Option wird auf die "starke" Verbalflexion zurückgeführt. Das Deutsche hingegen gilt als topic-drop Sprache, in der das Auslassen von Argumenten nicht auf Subjekte beschränkt ist, sondern auf das Element in der ersten Satzposition, d.h. in der Topikposition.

Die Untersuchung basiert auf einer Kombination von Longitudinal- und Querschnittstudien. Die Longitudinalstudie dokumentiert den Spracherwerb eines deutsch-italienisch bilingualen Kindes ab dem Alter von 1;9. In den Querschnittstudien wurden jeweils 12 deutsche und 12 italienische monolinguale Kinder getestet (Jakubowicz, Müller, Kang, Riemer and Rigaut, 1996, Jakubowicz, Müller, Riemer and Rigaut, 1997). Dabei wurden den Kindern Bilder mit Alltagssituationen in einer Bärenfamilie vorgelegt.

Literatur:

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