Annette Leßmöllmann (Hamburg):
Zur Semantik von Formadjektiven: Der Ball ist rund

Freitag, 13.00 Uhr

Formadjektive haben ebenso wie Dimensionsadjektive den semantischen Status von Modifikatoren, die ausgedehnten Objekten Raumattribute zuschreiben. Im Gegensatz zu den Dimensionsadjektiven (Bierwisch & Lang 1987) sind Formadjektive als Klasse bislang nicht untersucht worden. Im Sinne einer psychologischen Analyse natürlicher Sprache (Jackendoff 1991) ist zu zeigen, welches räumliche Wissen hinzugezogen wird, um Adjektiven wie rund, eckig, rechteckig, oval, kreisrund oder kugelrund im Kontext Bedeutung zuzuweisen. Ähnlich wie die Dimensionsadjektive greifen sich Formadjektive bestimmte Aspekte räumlicher Repräsentationen, d.h. von Objektkonzepten, heraus. Während lang, niedrig oder tief sich auf die Achsenverhältnisse der Objekte (auch induziert durch den räumlichen oder funktionalen Kontext) beziehen, modifizieren Formadjektive die Eigenschaften von Objekten, die ihre Begrenzungen bzw. ihre Ränder betreffen.

Als Fallbeispiel wird im Vortrag rund im Vergleich mit den anderen obengenannten Adjektiven diskutiert. Dabei wird auf zwei Eigenschaften dieses Adjektivs eingegangen: Zum einen bringt es sowohl Restriktivität als auch Flexibilität bezüglich der Dimensionalität von Objekten mit. Rund schließt eindimensional konzeptualisierbare Objekte, wie z.B. Wege, aus (???Der Weg ist rund). Objekte wie z.B. Seile, die in bestimmten Kontexten linear konzeptualisiert werden können, sind nur rund, wenn ihr Durchschnitt rund ist: Es wird somit auf ihre höherdimensionale Struktur fokussiert, aber es kann nicht gemeint sein, daß das Seil in einem Rund gelegt ist. Bezüglich zwei- und dreidimensionalen Objekten verhält rund sich flexibel: Ein dreidimensionales Objekt wie eine Kanne oder Tasse kann rund sein; sie muß deshalb nicht kugelrund sein, sondern einer ihrer Ränder – der Rand des horizontalen Durchschnitts – ist rund.

Zum anderen sind die hier betrachteten Formadjektive im Gegensatz zu den Dimensionsadjektiven nicht relativ, d.h. ihre Interpretation hängt nicht von einer kontextuell induzierten Norm ab. Eine runde Scheibe ist nicht zu einem bestimmten Grad runder als eine übliche Rundung, so wie eine lange Stange länger ist als die übliche Länge für eine Stange. Dennoch bezieht sich rund in manchen Kontexten auf eine ideale Rundheit, vgl.: Dieser Ball ist wirklich rund oder dieser Ball ist runder als der andere (mit den Dellen). Es gibt somit verschiedene Ausprägungsgrade für die Interpretation von rund, die den Komparativ (anders als beispielsweise bei eckig oder rechteckig) möglich machen.

Eine Analyse von der Formadjektive muß demnach sowohl die räumlichen Eigenschaften dieser Prädikate und damit die der beteiligten Objektkonzepte analysieren als auch die Flexibilität der Anwendung dieser Prädikate (Pinkal 1985, Kap. 7.1).

Literatur:

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