Klaus Kessler (Bielefeld):
Ein konnektionistisches Rezeptionsmodell von "Vor", "Hinter", "Links" und "Rechts"

Donnerstag, 10.00 Uhr

Eine Lokalisationsäußerung, beispielsweise: "Der Schlüssel liegt links vom Auto", kann von einem Hörer aus verschiedenen Perspektiven heraus interpretiert werden. Er kann sie egozentrisch, sprecherbezogen oder relatumsbezogen verstehen. Letzteres ist nur möglich, wenn das Relatum eine intrinsische Gerichtetheit aufweist, wie etwa ein Auto. Jede dieser Perspektiven ist als eigenes Bezugssystem zu verstehen, durch welches der Raum dimensioniert werden kann. Mit Dimensionierung ist die Festlegung von Achsen und die Zuweisung von Polen zu den Achsen gemeint (vgl. Grabowski, 1996). In der vorliegenden Arbeit werden zwei Achsen berücksichtigt; die erste und die zweite Horizontale, mit den Polen "Vor" und "Hinter" bzw. "Links" und "Rechts". Für das Verstehen einer Lokalisationsäußerung anhand von "Vor", "Hinter", "Links" und "Rechts" ist die Wahl des Bezugssystems folglich ausschlaggebend. Es konnte experimentell gezeigt werden, daß diese Wahl unter anderem durch den sozialen Kontext beeinflußt wird, in welchem die Kommunikationssituation stattfindet (Grabowski, Herrmann & Weiß, 1993; Grabowski, 1996). Weitere empirische Ergebnisse belegen, daß die Kosten für die Übernahme einer fremden Perspektive durch den Hörer proportional zu dem jeweiligen Rotationswinkel steigen, der überwunden werden muß, um die fremde Perspektive einzunehmen (Herrmann, Graf & Helmecke, 1991; Graf, 1994, 1996). Dies gilt insoweit für die Raumdimensionierung durch "Links" und "Rechts". Bei der Dimensionierung durch "Vor" und "Hinter" wird eine merkmalsbasierte Bestimmung von Vorder- und Rückseite angenommen. Das Hauptanliegen dieser Arbeit ist es, ein konnektionistisches Prozeßmodell vorzustellen, welches die berichteten Effekte zur Raumdimensionierung einheitlich implementiert und zu neuen empirisch prüfbaren Hypothesen führt. Aus einer zweidimensionalen Repräsentation der räumlichen Konstellation werden Richtungen extrahiert, welche durch die drei genannten Bezugssysteme jeweils in Raumdimensionierungen umgesetzt werden, wobei die Bezugssysteme um eine Rotationsressource konkurrieren. Als Interpretationsergebnis wird eine Aktivierungsverteilung über die möglichen Richtungen ausgegeben, welche von nachgeschalteten Modulen zur Handlungssteuerung verwendet werden kann. Es ergeben sich empirische Hypothesen insbesondere zu Reaktionszeiten in Abhängigkeit von den situativen Bedingungen, zur Interaktion zwischen sozialem Kontext und Rotationsaufwand und zur Fehleranfälligkeit unter bestimmten situativen Bedingungen.

Literatur:

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