Martin Haspelmath (Berlin/ Pavia):
Zur Entstehung des Standard-Durchschnitts-Europäischen

Mittwoch, 17.00 Uhr

Mit dem Whorfschen Terminus Standard Average European (SAE) bezeichne ich den Sprachbund in Europa, der sich vor allem an syntaktischen Parallelen zeigt, und der die germanischen, die romanischen, die westslavischen und die Balkansprachen umfaßt. Während die Entstehung der Gemeinsamkeiten zwischen europäischen Sprachen auf lexikalischem Gebiet ziemlich leicht zurückzuverfolgen und eindeutig jüngeren Datums ist, liegt die Entstehung der syntaktischen SAE-Charakteristika weitgehend im Dunkeln. Offenbar ist das SAE wesentlich älter.

Um das Alter der syntaktischen Europäismen zu bestimmen, stelle ich eine repräsentative Menge von 10 Europäismen etwas genauer vor: Artikel, Haben-Perfekt, Partizip-Passiv, Antikausativ-Prominenz, Nominativ-Experiens, externer Dativpossessor, Negativpronomina, Partikelkomparativ, "A und B"-Konjunktion, und Relativsätze. Ich zeige, daß diese Phänomene eine deutlich parallele areale Verteilung haben, und daß diese am besten durch einen kontaktbasierten Sprachbund, nicht durch genetische Verwandtschaft, zu erfassen ist.

Obwohl die SAE-Sprachen des Kernbereichs alle indogermanisch sind, stellt sich bei historischer Betrachtung heraus, daß fast alle Europäismen Innovationen sind, daß die SAE-Charakteristika also nicht als Indogermanismen erklärbar sind. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Europäismen auf ein vorindogermanisches Substrat zurückzuführen, aber auch hiergegen sprechen zu gewichtige Argumente. Die Entwicklung des SAE-Sprachbunds muß also in der Spätantike bzw. im frühen Mittelalter stattgefunden haben, wobei die Erforschung der genaueren Umstände eine wichtige Aufgabe für die historische Soziolinguistik sein wird.

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